Wie die Coronapandemie zum Treibstoff für Veränderung wurde

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Die Krise als Beschleuniger

Die Coronapandemie traf die Welt unvorbereitet – und stellte vor allem die Gesundheitssysteme vor große Aufgaben. Neue Prozesse mussten sich bewähren, Ressourcen waren vorübergehend knapp.

Schnell war klar: Gesundheitsversorger und Industrie, Wissenschaftler*innen und medizinisches Fachpersonal müssen in dieser Situation besonderen Einsatz zeigen, dabei agil bleiben und sich so kontinuierlich den Herausforderungen stellen. Mehr als ein Jahr nach Beginn der Pandemie ist das Virus noch nicht unter Kontrolle, doch es gibt eine Perspektive. Dazu gehört auch, dass die Krise für Veränderungen sorgt, von denen alle profitieren werden. Drei Thesen, wie die Coronapandemie als Beschleuniger wirkt. 

1. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens schreitet schneller voran – und die Offenheit in der Bevölkerung für digitale Technologien nimmt zu.

Schon in den ersten Tagen der Pandemie wurde deutlich, dass zwei Dinge bei der Bekämpfung von COVID-19 entscheidend sein würden: Eine Reduktion der sozialen Kontakte. Und die Fähigkeit, schnell auf neue Entwicklungen zu reagieren. Digitale Werkzeuge und Prozesse im Gesundheitswesen sind hier von entscheidender Bedeutung. 

In Asien verdoppelten sich die Investitionen in Medizintechnologie 2020 im Vergleich zum Vorjahr – vor allem in digital getriebene Startups. In China etwa war die Plattform WeDoctor erfolgreich, die Remote-Sprechstunden anbietet. Im Vergleich zum Vorjahr stieg hier die Zahl der digitalen Konsultationen um den Faktor 3,6. In Südkorea meldeten gleich zu Beginn der Pandemie 22.000 der insgesamt 23.000 Apotheken im Land ihre Bestände an FFP2-Masken an eine schnell programmierte staatliche App. So wurde verhindert, dass sich Schlangen vor den Geschäften bildeten. 

Auch bei der Übermittlung der Infektionszahlen in Echtzeit helfen digitale Lösungen. Längst gibt es mit dem „Surveillance Outbreak Response Management and Analysis System“ (SORMAS) ein System zur Meldung und Nachverfolgung von Infektionskrankheiten. Entwickelt wurde es von Epidemiolog*innen des deutschen Helmholtz-Zentrums zur Eindämmung der Ebola-Epidemie 2014 in Westafrika. In Ländern wie der Schweiz und Frankreich wird es auch zur Bekämpfung der Coronapandemie eingesetzt – und zunehmend auch in Deutschland. 

Digitalisierung spielt auch im deutschen Gesundheitswesen eine immer wichtigere Rolle. Seit April 2020 melden Kliniken täglich aktuelle Bettenkapazitäten an ein zentrales Register. Regionale Engpässe im intensivmedizinischen Bereich können so frühzeitig erkannt und vermieden werden. Schon in den ersten Monaten der Pandemie boten laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung etwa 25.000 Arztpraxen digitale Sprechstunden an – vorher waren es nur 1.700. Bis 2026 bekommen die deutschen Gesundheitsämter vier Milliarden Euro – davon sind 800 Millionen Euro für die Digitalisierung vorgesehen. 

Anna Maria Braun, Vorstandsvorsitzende von B. Braun, erkennt in der Pandemie einen Wendepunkt: "Wir sehen, dass in der Bevölkerung eine große Offenheit gegenüber digitalen Technologien herrscht und wie sehr uns diese Technologien dabei unterstützen können, unsere Prozesse effizienter und einfacher zu gestalten. Diese Offenheit müssen wir jetzt nutzen – ohne dabei zentrale Aspekte wie Datenschutz zu vernachlässigen – um digitale Schlüsseltechnologien, die international konkurrenzfähig sind, in Europa aufzubauen."

2. Datenbasierte Forschung & Zulassungsprozesse erhöhen die Innovationsgeschwindigkeit – und fördern die internationale Kooperation.

Anfang Januar 2020 veröffentlichten chinesische Wissenschaftler das Genom des SARS-CoV-2-Virus – und die weltweite Suche nach einem Impfstoff begann. Am 2. Dezember erhielt der erste Impfstoff gegen COVID-19 eine Zulassung. Weitere folgten in den nächsten Wochen und Monaten. 

Dieser Erfolg war jedoch nur das sichtbarste Ergebnis eines viel größeren Phänomens: Nie arbeitete die internationale Forschungsgemeinschaft so eng und schnell zusammen wie heute. Weltweit publizieren wissenschaftliche Journale neue Erkenntnisse der Corona-Forschung unentgeltlich und so schnell wie möglich. Mehr als 30.000 Artikel zu COVID-19 wurden 2020 als Preprints veröffentlicht. Und auch der Peer-Review-Prozess in den wissenschaftlichen Publikation dauerte für diese Artikel mit 72 Tagen nur halb so lange wie bei anderen Themen. Diese datenbasierten Prozesse beschleunigen die Innovationsgeschwindigkeit. Andere Forschungsbereiche können von den Erfahrungen und Infrastrukturen profitieren. 

Die Coronakrise stärkte nicht nur die internationale Kooperation in der Forschung, sondern auch in der Gesundheitspolitik. So stehen der WHO durch freiwillige Erhöhung der Beitragszahlungen für die Jahre 2020/21 nun 8,48 Milliarden US-Dollar zur Verfügung – fast doppelt so viel wie noch 2018/19. Ein weiteres Beispiel für gelebte internationale Solidarität: In der EU wurden und werden Intensivpatient*innen in den Mitgliedstaaten behandelt, die ausreichend Kapazitäten haben. Und der internationalen Impfallianz COVAX wurden bisher 6,3 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Mit dem Geld wird Impfstoff für die ärmsten 92 Länder besorgt. Bis Anfang März 2021 wurden bereits 12 Millionen Dosen verteilt. Auch wenn gesundheitspolitische Entscheidungen oft auf nationaler Ebene getroffen werden, ist ein globales Denken und Handeln wichtiger denn je.

3. In der Pandemie lernen Politik und Bevölkerung das Gesundheitssystem neu schätzen – und sind bereit, in nachhaltige Lösungen zu investieren.

Das medizinische Personal leistet Außergewöhnliches – nicht nur seit Ausbruch der Coronapandemie. Als im Frühjahr 2020 die ersten Bilder von völlig entkräfteten Ärzt*innen und Pfleger*innen in den von der Pandemie besonders betroffenen Regionen in Wuhan, Norditalien, London und New York um die Welt gingen, veränderte sich der Blick auf die Branche. Das medizinische Fachpersonal wurde in der Presse und von der Bevölkerung gefeiert. Zurecht. 

Aber das Heldentum hat auch Schattenseiten: Menschen, die auf einer COVID-19-Stationen arbeiten, leiden mit größerer Wahrscheinlichkeit an depressiven Symptomen und Posttraumatischen Belastungsstörungen als ihre Kollegen auf Normalstationen. Das fand eine Studie italienischer Wissenschaftler*innen in der Zeitschrift „Journal of Evaluation in Clinical Practice“ heraus. Die Coronakrise führt so dazu, dass ein bekanntes Problem neue Relevanz erhält: die Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern.

Nach der Pandemie ist eine Rückkehr zum Status Quo schwer vorstellbar. Die Menschen, die für die Gesundheit der Bevölkerung sorgen, dürfen dabei nicht ihr eigenes Wohlergehen gefährden. Deshalb müssen wir nachhaltige Ansätze entwickeln, um das Gesundheitssystem effizienter und resilienter zu machen: mit angemessenen personellen und materiellen Ressourcen und flexiblen Arbeitszeitmodellen, mit neuen Technologien und Sicherheitslösungen. 

Die Rahmenbedingungen für entsprechende Reformen und Investitionen sind günstig. Denn nach dem ersten Pandemiejahr sind die Menschen auf der ganzen Welt mit ihren nationalen Gesundheitssystemen so zufrieden wie lange nicht mehr. Der Aussage, dass das jeweilige Gesundheitssystem die bestmöglichen Behandlungen garantiere, stimmten im „Global Health Service Monitor 2020“ weltweit 9 Prozent mehr zu als 2018. Mit dieser positiven Stimmung korreliert ein volkswirtschaftlicher Großtrend. Regierungen weltweit geben mehr für Gesundheitssysteme aus. Bis zum Jahr 2023 wird mit steigenden Ausgaben für die Gesundheitsversorgung von 5 Prozent pro Jahr gerechnet. 

Im Frühjahr 2021 scheint ein Ende der Pandemie erstmals absehbar. Und auch wenn die Gefahr durch Virusmutationen oder weitere neuartige Erreger nicht zu 100 Prozent abgewehrt werden kann, so können wir doch Vorkehrungen treffen, dass unsere Gesundheitssysteme noch besser auf globale Bedrohungen vorbereitet sind.